Asthmasprays: Billigdrogen blockieren FCKW-Ausstieg

February 1998
Ort: 
Arzt und Umwelt 11,2/98,142-144
Autor: 
Winfried Schwarz
Sprache: 
Deutsch

Asthmasprays: Billigdrogen blockieren FCKW-Ausstieg

Dr. Winfried Schwarz, Öko-Recherche GmbH, Kaiserstr. 61, 60329 Frankfurt

Der FCKW-Ausstieg wird als großer umweltpolitischer Erfolg gefeiert. Vor allem die EG-Länder rühmen sich ihrer internationalen Vorreiterrolle. Doch gerade sie müssen sich Jahr für Jahr mit dem "schwarzen Fleck" ihrer Erfolgsstory befassen, nämlich dann, wenn die Pharmaindustrie ihren FCKW-Bedarf anmeldet. Knapp 10 000 Tonnen der in Industrieländern sonst generell verbotenen harten, nämlich vollhalogenierten FCKW vom Typ 11, 12 und 114 gelangen weltweit auch 1998 wieder als Treibgas in Asthmasprays. Allein in Deutschland werden 1000 Tonnen abgefüllt, zu 80 Prozent von Boehringer-Ingelheim, und mehr als 400 Tonnen verbraucht (der Rest wird exportiert).

Ungewollt tragen die mit solchen Sprays versorgten Patienten zur Schädigung von Ozonschicht und Klima bei. Verordnende Ärzte können sich nicht mehr auf mangelnde Alternativen berufen. Längst gibt es für jeden Schweregrad der Erkrankung eine komplette inhalative Therapie auch ohne FCKW: Mit Dosiersprays auf Basis chlorfreier, wenngleich immer noch klimaschädigender, fluorierter Treibgase (HFKW 134a). Oder gleich ohne Umweltbelastung, nämlich mit modernen Pulverinhalatoren, die wie Sprays 60 oder 200 exakte Wirkstoffdosen abgeben und darüber hinaus leicht lungengängig sind.

Ein "Goldstandard" weicht auf

Die Möglichkeit des Umstiegs von Sprays auf Pulver wurde lange Zeit durch den medizinischen Richtungsstreit der führenden Lungenfachärzte in Frage gestellt. Bis 1995 setzte die meinungsbildende Deutsche Atemwegsliga (in der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie) einseitig auf Dosiersprays, bei denen FCKW durch HFKW ausgetauscht werden sollten. Sie kritisierte die in Schweden oder den Niederlanden eingeführte Pulverinhalation als zu umständlich und für Patienten mit geringem Atemzugsvolumen nicht tauglich (Säuglinge, Not- und Schwerstfälle). Die Kritik deckte sich mit den Interessen der in einem Verband (AIDA) organisierten Spray-orientieren Pharmafirmen, unter denen neben Boehringer-Ingelheim der deutsche Ableger des US-Konzerns "3M" besonders lautstark auftrat. Er erklärte bei jeder Gelegenheit das Dosierspray zum "Goldstandard" der Inhalationstherapie. Auch hier gilt in hohem Maße die aus der Wirtschaft bekannte Tatsache: Das Angebot bestimmt die Nachfrage. Und angeboten wurden über lange Zeit in Deutschland fast nur spraygetriebene Dosieraerosole.

Wie der Goldstandard aus dem internationalen Währungssystem seit langem verschwunden ist, ohne daß ihn jemand vermißt, kam es auch in der Ärzteschaft zu einer Aufweichung der konservativen Linie. Dabei spielten die ökologische Kritik am favorisierten - seit kurzem auf der Kyoto-Klimakonferenz weltweit geächteten -Ersatztreibgas HFKW 134a ebenso eine Rolle wie eigene Erfahrungen mit der optimierten Pulverinhalation. Diese hatte sich von der umständlichen Ein-Dosis-Einheit zum diskret bedienbaren Multi-Dosis-System entwickelt. Die neue Generation der Pulvergeräte Turbohaler (Astra), Easyhaler (Orion), Diskus (Glaxo) vereinigt in sich den bekannten Pulvervorteil der besseren Lungendeposition mit dem Sprayvorzug der leichten und exakten Bedienung.

Meinungswandel in der Atemwegsliga

1996 erklärte der international renommierte Pneumologe Gerhard Schultze-Werninghaus: "Für die meisten Patienten sind Asthmatherapeutika als Pulveraerosole ... aufgrund ihrer verbesserten Deposition und der verringerten unerwünschten Wirkungen als die Mittel der Wahl anzusehen." (1, S.20) Zugleich relativierte er den bisherigen Haupteinwand gegen das Pulververfahren: "Der Anteil von Patienten, deren inspiratorischer Fluß nicht für eine optimale Anwendung der Pulveraerosole ausreicht, wird häufig überschätzt: Er beträgt etwa nur zwei Prozent." (ebd.) Bald danach stellte die Deutsche Atemwegsliga die Pulver- der Sprayinhalation gleich. Sie befürwortet, so heißt es in ihrer Erklärung vom August 1997, "die Umstellung auf FCKW-freie Dosieraerosole und Pulverinhalatoren aus Gründen des Umweltschutzes" (2).

Pulveranteil 1995 bei 10 Prozent

Die Pulverinhalation hatte in Deutschland 1995 im Vergleich mit anderen Ländern erst einen geringen Marktanteil (3). Er betrug im Durchschnitt ca. 10 Prozent. Anders gesagt: ohne Pulvergeräte wären 10% mehr FCKW zur Verabreichung der Wirkstoffe versprüht worden.

Abbildung 1

Abbildung I: Im Inland verbrauchte (blaue Säulen) und durch Pulver ersetzte (weiße Säulen) FCKW-Mengen in der Asthmatherapie nach Wirkstoffgruppen 1995 in Tonnen. Der Pulveranteil bei bronchialerweiternden Wirkstoffen (Beta-2) war weit geringer als bei den entzündungshemmenden Wirkstoffen (Steroide). Insgesamt betrug die duch Pulver ersetzte FCKW-Menge 41 t. Der FCKW-Verbrauch lag bei 400 t. (4) Seitdem ist der Pulveranteil deutlich gestiegen.

In unserer Abbildung wird errechnet, wieviel FCKW durch Pulverinhalation eingespart wird (weiße Säulen). Diese Menge kann mit den real benutzten FCKW-Mengen verglichen werden. Der Pulveranteil differierte nach den vier in Deutschland bestimmenden Wirkstoffgruppen der inhalativen Asthmatherapie. Er lag in der drittgrößten Wirkstoffgruppe (Steroide) bei 31%, während er bei Beta-2-Kombipräparaten Null betrug. Letzteres ist eine deutsche Eigenart. Dank der inländischen Marktführerschaft des auf Kombinationssprays ausgerichteten Unternehmens Boehringer-Ingelheim ist diese "nichtklassische" Wirkstoffgruppe, für die es keine moderne Pulverdarreichung gibt, bei weitem die größte.

FCKW-Generika bremsen Pulvertrend

Seit 1996 gibt es die ersten HFKW-Sprays auf dem Markt. Wichtiger ist, daß im gleichen Jahr ein spürbarer Pulvertrend einsetzte. Zu den schon 1995 eingeführten Geräten von Astra und Orion-Pharma, dem bisher einzigen Unternehmen in Deutschland, das ganz aus der Vermarktung von Sprays ausgestiegen ist, kam der "Diskus" des Weltmarktführers Glaxo hinzu. Der Pulveranteil tendierte in Richtung Verdoppelung auf 20%. Doch Ende 1996 stockte der Trend. Nicht wegen der neuen HFKW-Sprays, denen bislang nur mäßiger Erfolg beschieden ist. Sondern wegen "alter" billiger FCKW. Mit ihnen drängten Nachahmersprays (Generika) massiv auf den bisher größten und wichtigsten Teilmarkt der Pulverinhalation, nämlich den der inhalativen Steroide (vgl. Abb. I).

Selbst Bayer ist sich nicht zu schade

Seit Ablauf des Patentschutzes für den Wirkstoff Budesonid, den sein Erfinder Astra überwiegend als Pulver verkaufte, offerieren fünfzehn Pharmafirmen den Ärzten den gleichen Wirkstoff in Form billiger FCKW-Spray. Der von den finanziell eingeengten Krankenkassen ausgehende Budgetdruck bewirkt bei den Ärzten einen sprunghaften Verordnungsanstieg für diese umweltschädlichen Billig-Sprays, die gegenwärtig schon fast 20% des Marktes aller inhalativen Steroide ausmachen. Nicht nur Firmen wie ratiopharm oder Hexal sind dabei, sondern selbst der deutsche Vorzeigekonzern Bayer beteiligt sich mit seiner Tochtergesellschaft "Basics" an der Zurückdrängung der Pulverinhalation durch FCKW. "Billig aber von Bayer" verheißen großformatige Anzeigen. "Kassemachen auf Kosten der Ozonschicht" nannte es eine Presseerklärung der Bündnisgrünen. Seit Februar 1998 möchte sich auch die BASF an diesem Geschäft der schnellen Mark auf Kosten von Umwelt und Patienten beteiligen.

Die medizinische Problematik dieser "neuen" FCKW-Geschäfte besteht darin, daß die Patienten noch länger an Sprays gewöhnt werden, aus deren Nutzung sie auf jeden Fall bald heraus müssen. Denn es ist nicht mit einer längerfristigen Erteilung von FCKW-Ausnahmegenehmigungen zu rechnen, und die HFKW haben wegen ihrer Klimaschädlichkeit ebensowenig eine Zukunft.

Regelungslücke schließen

Es ist schon problematisch genug, daß es 1998 noch alte FCKW-haltige Medikamente gibt. Daß aber in Deutschland von Dezember 1996 bis Februar 1998 fünfzehn FCKW-haltige Medikamente neu zugelassen wurden, ist ein politischer Skandal. Die Berliner Zulassungsbehörde und das Gesundheitsministerium. siehen sich auf das formale Argument zurück, daß befristete Ausnahmen von der FCKW-Halon-Verbotsverordnung legal sind. Gerade hier sind aber preiswertere Generika fehl am Platz. Denn angesichts der Notwendigkeit eines raschen Ausstiegs aus treibgasgetriebenen Dosieraerosolen ist diese Argumentation unbefriedigend. Statt dessen sollte diese Regelungslücke schnell geschlossen werden. FCKW-haltige Produkte sollten ausrangiert und verboten werden, sobald umweltfreundliche Alternativen da sind. Eine Förderung von FCKW-haltigen Generika sollte durch Herausnahme aus der Budgetierung der Kassen unterbunden werden.

Arbeitskreis Pulverinhalation - API

Die ökologische Kritik an den Spray-Treibgasen hat viel zur Beschleunigung des Pulvertrends beigetragen. Von den Umweltorganisationen setzt sich Greenpeace am stärksten für FCKW- und HFKW-freie Technologien ein. Auf der politisch-parlamentarischen Ebene sind die Bündnisgrünen aktiv. Die Umweltbewegung hat in der Frage des FCKW-Ausstieg aus Asthmasprays allerdings auch selber dazugelernt.

Erstens: Eine ursprünglich für möglich erachtete 100%ige Pulverlösung ist genausowenig sinnvoll, wie der gegenwärtige Zustand von nur 15-20% Pulveranteil. Eine Umkehrung der aktuellen Relationen zwischen beiden Verfahren auf 85% Pulver und 15% Spray (HFKW, nicht FCKW!) wäre ein großer ökologischer Fortschritt. Vor allem, und das betonten die Fachärzte in den Debatten, sollte es treibmittelhaltige Dosieraerosole für bestimmte Patientengruppen geben, die auf sie angewiesen sind. In Notfallsituationen, bei Kleinkindern, älteren Menschen und Menschen mit Behinderungen sollten Sprays (mit HFKW) als verschreibungsfähiges Medikament zur Verfügung stehen, allerdings in deutlich reduzierten Umfang (maximal 15% der Verschreibungen).

Zweitens: Die Pharmaindustrie ist kein monolithischer, auf Sprays eingeschworener Block mehr. Neben Orion Pharma, die zugunsten des Pulvers ganz auf Sprays verzichtet hat, zeigen sich auch Konzerne wie Astra und selbst der Weltmarktführer Glaxo einer Position zugänglich, welche Pulverinhalation für die Masse der Patienten und HFKW-Sprays für den Rest zum Ziel setzt. Auf dieser Plattform kam es Ende 1997 auf Inititative der "Zeitung für Umweltmedizin" zur Gründung eines "Arbeitskreises zur Förderung der Pulverinhalation", in dem die genannten Pharmaunternehmen mit Fachärzten, Apothekern, Patientenvertretern und Umweltschützern zusammenarbeiten (6).

Nachweise

(1) Schultze-Werninghaus, G. (1996): FCKW-freie Inhalationssysteme werden favorisiert. Welche Patienten profitieren von Dosieraerosolen, welche von Pulverinhalatoren?, Ärzte Zeitung 15./16.3.1996, Forschung und Praxis 212/96, S. 18-20

(2) Deutsche Atemwegsliga (1997): Treibgase in Dosieraerosolen - ein notwendiges Übel?, Pressemitteilung, Dorn-Assenheim, August 1997

(3) Schwarz, W. (1996): Asthma: Pulverinhalation statt FCKW-Sprays, Arzt und Umwelt 9 (1), S.29-32

(4) Umweltbundesamt (1996): Aktuelle und künftige Emissionen treibhauswirksamer fluorierter Verbindungen in Deutschland, (Verf.: Dr. Winfried Schwarz, Dr. André Leisewitz) Berlin, Dezember 1996.

(5) Bündnis90/Die Grünen (Bundestagsfraktion) (1997): Bayer und BASF machen Kasse mit FCKW - Grüne protestieren, Pressemitteilung Bonn 21.10.1997

(6) NN (1997): Zwischen Ökologie und Ökonomie. Zum Pro und Contra der alternativen Treibgase in Asthmasprays, Round-Table-Gespräch bei der Zeitung für Umweltmedizin, Heft 4/1997, S. 218-222