Die fluorierten Verbindungen Schwefelhexafluorid (SF6), perfluorierte Fluorkohlenwasserstoffe (CF4, C2F6) und wasserstoffhaltige Fluorkohlenwasserstoffe (H-FKW) zählen zu den atmosphärischen Spurengasen mit extrem hohen Treibhauspotentialen. Die Studie untersucht für Deutschland ihre realen Emissionen für 1990-1995 und stellt Prognosen für die Jahre bis 2020 auf. Diesen Prognosen zufolge vermindern sich die jährlichen Freisetzungen von CF4/C2F6 von 1990 bis 2000 von 335 t/34 t auf 100 t/10 t infolge Automatisierungsmaßnahmen an der Hauptquelle (Aluminiumhütten). Die Emissionen von SF6 bleiben dagegen bis 2020 im Schwankungsbereich zwischen 200 und 300 t jährlich. Hauptemittenten sind nicht elektrische Schaltanlagen, da diese relativ dicht sind und über ein Entsorgungs- und Wiederaufarbeitungskonzept für gebrauchtes Gas verfügen, sondern mit großem Abstand Autoreifen und Schallschutzscheiben. Bei den erst seit 1990 gezielt als FCKW-Nachfolger eingesetzten H-FKW ist mit fortschreitender FCKW-Substitution in der stationären und mobilen Kälte- und Klimatechnik, bei PU-Montageschaum und Asthmasprays mit einer sprunghaften Zunahme der Emissionen bis auf über 9700 t/a ab dem Jahr 2007 zu rechnen, sofern sich nicht halogenfreie Alternativen stärker durchsetzen. Im Jahr 2020 werden bei Annahme dieser Trends die kumulierten Emissionen der genannten fluorierten Verbindungen der Treibhauswirkung von 25 Mio. t CO2 entsprechen (GWP-Betrachtungszeitraum: 100 Jahre).
Aktuelle und künftige Emissionen treibhauswirksamer fluorierter Verbindungen in Deutschland
Zusammenfassung
Fluorierte Verbindungen wurden erst in den letzten Jahren auf ihre Klimarelevanz hin intensiver untersucht. Sie sind wegen ihres außerordentlich hohen spezifischen Beitrags zum Treibhauspotential u.a. Gegenstand politischer Verhandlungen mit dem Ziel einer Stabilisierung der Treibhausgaskonzentration in der Atmosphäre.
Es handelt sich vor allem um das vollfluorierte Schwefelhexafluorid (SF6) und perfluorierte Fluorkohlenwasserstoffe wie Perfluormethan (CF4 und Perfluorethan (C2F6). Dazu kommen wasserstoffhaltige Fluorkohlenwasserstoffe (HFKW) wie R134a, R125 und R143a.
Vorliegende Studie untersucht die Realentwicklung von Verbrauch und Emissionen der genannten Stoffe zwischen 1990 und 1995 und stellt auf der Grundlage der von Herstellern und Anwendern gegenwärtig verfolgten Trends Prognosen für die Jahre bis 2020 auf. Es versteht sich, daß die prognostizierten Emissionswerte zwar Plausibilität, aber nicht Verbindlichkeit beanspruchen können. Die Prognoseszenarien basieren auf eher konservativen Schätzungen. Dies impliziert, daß z.B. durch technisch/technologische Optimierung in vielen Fällen niedrigere Emissionsraten erreichbar sind.
1. Inländische Emissionen der drei Stoffgruppen - Trends
1.1 Emissionsrückgang bei CF4
Die jährlichen Freisetzungen vermindern sich bis zum Jahr 2000 auf 30% der Ausgangsmenge des Bezugsjahres 1990: von 355 t/42 t (1990) über 218 t/27 t (1995) auf langfristig stabile 106 t/12 t (vgl. Tabelle 1 u. Diagramm 1).
Hauptgrund dafür sind Kapazitätsabbau und - in stärkerem Maße - Modernisierungsmaßnahmen in der Aluminiumindustrie, die zu 95% jene Emissionen verursacht. Sie entstehen ungewollt als Nebeneffekt der elektrolytischen Reduktion von Tonerde zu Aluminium, und zwar umso weniger, je exakter und kontinuierlicher die Zufuhr der Tonerde in das Elektrolysebad erfolgt. Da das Modernisierungspotential der inländischen Aluminiumelektrolysen aus gegenwärtiger Sicht ab dem Jahr 2000 weitgehend ausgeschöpft sein wird, ist davon auszugehen, daß sich der Trend der Emissionsverringerung nicht bis ins nächste Jahrtausend fortsetzen wird.
1.2 Leichter Anstieg der Emissionen von SF6
Zwischen 1990 und 1995 sind die Inlandsemissionen von 163 t auf 251 t gestiegen. Halten die gegenwärtigen Nutzungstrends an, werden die Freisetzungen nach einem vorübergehenden Rückgang zwischen 1997 und 2000 erneut zunehmen und ihr Maximum im Jahr 2020 bei knapp 300 t erreichen (vgl. Tabelle 1 und Diagramm 1).
Die Zunahme der SF6-Emissionen von 1990 bis 1997 beruht auf einer Ausweitung der beiden mit jeweils 40-44% an den Gesamtemissionen beteiligten Anwendungen Füllgas für Autoreifen und für Schallschutz-Isolierglasscheiben. Ab 1997 ist zwar mit einem Rückgang der umstrittenen SF6-Verwendung zur Reifenfüllung zu rechnen; drei Jahre später (2000) auch mit einem entsprechenden Emissionsrückgang. Ab 2000 steigen allerdings die Emissionen aus dem Sektor Schallschutzscheiben kräftig an. Denn dann beginnt der Rückbau der seit 1975 genutzten und nach 20-30 Jahren Lebensdauer unbrauchbar gewordenen Fenstergläser. Da es im Unterschied zu SF6 -isolierten elektrischen Schaltanlagen bei der Ausmusterung kein Entsorgungs- oder Wiederaufarbeitungskonzept gibt, werden im Jahr 2020 fast 200 t SF6 aus dem Sektor Schallschutzscheiben in die Atmosphäre entweichen. Gegenüber den Emissionsquellen Autoreifen und Schallschutzscheiben sind Hochspannungs-Schaltanlagen, Magnesiumgießereien und sonstige Anwendungsbereiche des Gases von untergeordneter Bedeutung. Die Gasisolierung von Hochspannungsschaltanlagen verbraucht zwar über die Hälfte der jährlich in Deutschland verkauften SF6-Menge. Da diese Anlagen aber erstens sehr dicht sind und zweitens für ihre Entsorgung ein Wiederaufarbeitungskonzept des SF6-Gases vorhanden ist, liegen die jährlichen Emissionen bei ca. 10 t.
Diagramm 1: Emissionen vollfuorierter Verbindungen von 1990 bis 2020 in t/a (Realentwicklung und Prognose). Während die Emissionen der perfluorierten FKW CF4 und C2F6 bis zum Jahr 2000 deutlich zurückgehen, nehmen die vor allem aus Autoreifen- und Schallschutzscheibenfüllung stammenden SF6-Emissionen noch bis zum Jahr 2020 zu.
Die erst ab 1990 gezielt als FCKW/HFCKW-Nachfolgestoffe hergestellten HFKW emittieren in nennenswertem Umfang seit 1993 in die Atmosphäre. Im Jahre 1995 wurden rd. 2000 t des hauptsächlich Verwendung findenden HFKW Tetrahydrofluorethan (R 134a) freigesetzt. Die wegen des Verwendungsverbots notwendige FCKW-Substitution kann teilweise sowohl durch fluorierte Gase als auch durch halogenfreie Alternativen erfolgen. Diese Studie geht daher von zwei Szenarien (vollständiger FCKW-Ersatz durch HFKW und teilweiser Umstieg auf HFKW) aus. Im Zuge der bis nach 2000 währenden FCKW-Substitution wird unter der Annahme eines vollständigen FCKW-Umstiegs auf HFKW um das Jahr 2007 ein langfristig stabilisiertes Emissionsniveau von ca. 9700 t/a erreicht werden (Tabelle 1, Z. 5; Diagramm 2). Wahrscheinlicher ist jedoch nur ein partiellerUmstieg von FCKW auf HFKW zugunsten eines höheren Anteils halogenfreier Alternativen. In diesem Fall ist nach einem Maximum der HFKW-Emissionen von ca. 7000 t im Jahr 2007 mit einem Emissionsrückgang auf 5 000 t/a bis 2020 zu rechnen (Tabelle 1, Z. 4; Diagramm 2).
Die seit 1990 für HFKW infrage kommenden FCKW-Anwendungen sind Kältemittel in stationären und mobilen Anlagen sowie Treibgase für Polyurethan-Montage-Schaum und Asthmasprays. Bei vollständigem Umstieg auf HFKW würden ab 2007 aus der stationären Kältetechnik (Gewerbe, Industrie, Gebäudeklima) jährlich knapp 5000 t und aus der mobilen Kältetechnik (zu 90% Pkw-Klimaanlagen) ca. 2600 t HFKW frei. Dazu kämen HFKW-Treibgase im Umfang von ca. 1700 t aus PU-Schaumdosen und 400 t aus Asthma-Dosiersprays. Ein nur teilweiser HFKW-Umstieg, der im Jahr 2020 mit nur etwa halb so viel Emissionen verbunden wäre, gründet sich auf die verstärkte Hinwendung zu Ammoniak und einfachen Kohlenwasserstoffen in der stationären Kältetechnik und zu Kohlendioxid bei Pkw-Klimaanlagen. In der inhalativen Asthmabehandlung werden als Alternative zu treibgasbasierten Dosiersprays bereits neuentwickelte dosiergenaue Pulverinhalatoren eingesetzt
Diagramm 2: HFKW-Emissionen 1990-2020 in Tonnen pro Jahr bei teilweisem und bei vollständigem FCKW-Umstieg auf HFKW (Realentwicklung und Prognosen). Werden nicht alle gegenwärtigen FCKW/HFCKW-Anwendungen durch HFKW, sondern zum Teil durch halogenfreie Alternativen ersetzt (Ammoniak und brennbare Kohlenwasserstoffe in der stationären, CO2 in der mobilen Kältetechnik), steigen die Emissionen nicht bis auf 9700 t/a, sondern nur bis auf 7000 t/a - mit rückläufiger Tendenz auf 5000 t/a im Jahr 2020.
2. Treibhauswirksamkeit der Emissionen
Tabelle 2 und Diagramm 3 geben den aus den Verbrauchs- und Emissionsprognosen abgeleiteten, kumulierten Beitrag der fluorierten Verbindungen zum Treibhauseffekt zwischen 1990 und 2020 wieder, gemessen in Mio. t CO2-Äquivalente.
Wie eingangs bemerkt, sind die spezifischen GWP-Werte der einzelnen fluorierten Verbindungen sehr verschieden. Das GWP von SF6 beträgt mit 23900 mehr als das 18-fache des GWPs von HFKW 134a, das 1300 CO2-Äquivalenten entspricht. Darum ist, über einen 100-jährigen Zeitraum betrachtet, die Strahlungswirkung von 300 t SF6 mit jener von 5000 t HFKW vergleichbar, mit anderen Worten: Der Beitrag beider Stoffmengen zur Erwämung der Erdatmosphäre ist in etwa gleich groß.
Diagramm 3: Emissionen fluorierter Verbindungen in Mio. t CO2-Äquivalente 1990-2020 (Realentwicklung und Prognosen). Die kumulierten Beiträge zum Treibhauseffekt entsprechen im Jahr 2020 im Falle vollständigen HFKW-Umstiegs der Wirkung von 25 Mio. t CO2. Die wichtigsten Stoffe sind SF6 und HFKW, während perfluorierte Alkane nach 2000 von geringerer Bedeutung sind. Sollte der Ersatz von FCKW nur teilweise durch HFKW erfolgen ("HFKW teilweise"), beträgt das Treibhauspotential der emittierten fluorierten Verbindungen fast 10 Mio. t CO2-Äquivalente weniger.
Von den betrachteten fluorierten Verbindungen kommt im Zeitraum 1990 bis 2000 dem SF6 der größte Anteil am anthropogenen Treibhauseffekt zu. Dieses Verhältnis verschiebt sich zu Beginn des nächsten Jahrhunderts, ausgelöst durch verstärkte FCKW-Substitution in Richtung HFKW.
Aus Tabelle 2 und Diagramm 3 wird nicht nur die große Klimarelevanz der SF6- und HFKW-Emissionen deutlich, sondern auch die entlastende Wirkung eines nur teilweisen HFKW-Umstiegs gegenüber einem vollständigen. Die kumulierten Beiträge zum Treibhauseffekt entsprechen im Jahr 2020 im Falle eines vollständigen FCKW-Ersatzes durch HFKW der Wirkung von 25 Mio. t CO2. Sollte der Ersatz von FCKW nur partiell durch HFKW erfolgen ("HFKW teilweise"), beträgt das Treibhauspotential der emittierten fluorierten Verbindungen immerhin fast 10 Mio. t CO2-Äquivalente weniger.
3. Zur Klimarelevanz der inländischen Emissionen fluorierter Verbindungen
Die Bedeutung der Emissionen der fluorierten Verbindungen HFKW, SF6 und CF4 /C2F6 erscheint, gemessen an den inländischen Gesamtemissionen treibhauswirksamer Spurengase, relativ gering. Aus Tabelle 3 geht hervor, daß ihr zusammengefaßter Anteil an den Gesamtemissionen - ausgedrückt als CO2-Äquivalente - im Jahr 1990 ca. 0,7 Prozent betrug. Dennoch wäre es aus ökologischer Sicht nicht angebracht, die genannten fluorierten Verbindungen zu vernachlässigen. Denn erstens wird im Jahr 2020 ihr Anteil voraussichtlich auf 2,6 Prozent angestiegen sein. Zweitens sind HFKW und SF6 die einzigen treibhauswirksamen Spurengase, deren Emissionsmengen bis zum Jahr 2020 nicht ab, sondern zunehmen.
Im übrigen ist darauf zu verweisen, daß sich die treibhauswirksamen Gesamtemissionen aus einer Vielzahl von für sich genommen meist kleinen Einzelquellen speisen, die bei der notwendigen Reduktion der Treibhausgase alle angehalten sind, ihren entsprechen Reduktionsbeitrag zu leisten.
Die Emissionen von CF4/C2F6, SF6 und HFKW entwickeln sich seit 1990 mit unterschiedlicher Richtung und Dynamik. Es ergeben sich folgende Prognosen bis 2020.
In der Bundesrepublik Deutschland werden jährlich nicht zu vernachlässigende Mengen aller drei genannten Gruppen von fluorierten Verbindungen frei. Die Hauptemissionsquellen für CF4/C2F6 sind Aluminiumhütten, für SF6 die Verwendung als Füllgas von Autoreifen und Schallschutzscheiben, für HFKW die Kälte- und Klimatechnik.
Die Klimawirksamkeit dieser Verbindungen resultiert aus ihren z.T. extrem langen, bis in den Bereich von Jahrtausenden reichenden, atmosphärischen Verweilzeiten, verbunden mit hoher spezifischer Absorption der einzelnen Moleküle im treibhausrelevanten infraroten Spektralbereich. Diese fluorierten Verbindungen stellen daher die mit Abstand treibhauswirksamsten Stoffe in der Atmosphäre dar. Die als Maßzahlen zum Vergleich mit CO2 als Referenzsubstanz herangezogenen Global Warming Potentials (GWPs) erreichen bei Betrachtung eines Zeithorizontes von 100 Jahren für SF6 Werte von 23900, für C2F6 9200, für CF4 6500 und für die technisch wichtigsten HFKW Werte zwischen 1000 und 2000 (GWP von CO2 = 1). (IPCC 1995)