Winfried Schwarz und André Leisewitz, Frankfurt
Die europäische Richtlinie 1999/13/EG zur Begrenzung von Emissionen flüchtiger organischer Verbindungen trat am 29. März 1999 in Kraft. Diese Verordnung muss von den EU-Mitgliedsstaaten innerhalb von zwei Jahren in nationales Recht überführt werden. Im vorliegenden Beitrag werden aktuelle statistische Daten zur Oberflächenreinigung mit halogenfreien organischen Lösemitteln und daraus resultierende Minderungspotenziale für VOC-Emissionen auf betrieblicher Ebene zusammengefasst.
Flüchtige organische Verbindungen (VOC) sind maßgeblich an der Bildung von bodennahem Ozon beteiligt. Höhere Ozonkonzentrationen schädigen die menschliche Gesundheit und wirken auf Pflanzen wachstumshemmend. Ein Ziel von Umweltmaßnahmen besteht deshalb darin, die Ozonkonzentration auf einen Wert von weniger als 110 µg/m3 Ozon in der Luft zu senken.
Die Hauptursache der VOC-Emissionen in Deutschland ist die Lösemittelanwendung, zu der unter anderem die Oberflächenreinigung mit halogenfreien organischen Lösemitteln gehört. Um dauerhaft die oben angeführte Ozonkonzentration zu unterschreiten, ist eine Verminderung der VOC-Emissionen gegenüber 1990 um 70 bis 80% notwendig. Diese Ziel soll bis zum Jahr 2010 erreicht werden.
Der vorliegenden Beitrag fasst einen für das Umweltbundesamt angefertigten Forschungsbericht zusammen. Für den Bereich Oberflächenreinigung wurden dabei sowohl aktuelle statistische Daten über Verbrauch, Luftemissionen und die Entsorgung halogenfreier organischer Lösemittel (Istzustand) als auch Minderungspotenziale für VOC-Emissionen auf betrieblicher Ebene (Sollzustand) ermittelt. Die Untersuchung wurde für jeden Sektor der Oberflächenreinigung durchgeführt, wobei die Primärresultate auf Vor-Ort-Recherchen beim Anwender sowie auf der Direktbefragung von Experten aus Lösemittelhandel, Anlagenbau, Verbänden, Fachjournalismus, Wissenschaft etc. basieren.
Bestandsaufnahme
Die Anwendungsstruktur und der Istzustand für 1998 des gesamten Bereiches der Oberflächenreinigung mit halogenfreien organischen Lösemitteln sind in Tabelle 1 aufgeführt.
Jährlich werden den Betrieben circa 63700 t Frischware auf Basis brennbarer Kohlenwasserstoffe (KW) zum Zweck der Oberflächenreinigung zugeführt. Davon emittieren 49%, das heißt über 31000 t, bei Anwendung in die Luft. Die anderen 51% werden entsorgt. Von den etwa 32500 t entsorgter KW-Reiniger werden rund 6300 t extern zurückgewonnen und bilden wieder einen Teil (10%) der Jahreszufuhr. Etwa 2300 t werden für mindere Einsatzzwecke (Universalverdünner, Frostschutzmittel und dergleichen) aufgearbeitet. Etwa 1000 t (sauerstoffhaltige KW-Derivate) gelangen mit dem Spülwasser in die Kanalisation und werden in Kläranlagen abgebaut. Der größte Teil der Altware, etwa 23000 t (70%), wird unter Energienutzung verbrannt.
Die allgemeine Verwendungsstruktur der Lösemittel ist in den sechs Haupteinsatzbereichen halogenfreier Lösemittelreiniger (Dienstleistungen, Pkw-Entkonservierung, Metallentfettung, Spezialanwendungen, Feinreinigung und Entlackung) jeweils verschieden.
Dienstleistungen außerhalb der Industrie
Im Dienstleistungsbereich mit dem Schwerpunkt Kfz-Handwerk wird nicht seriell gereinigt, sondern diskontinuierlich und manuell. Dafür werden einfachen Reinigungstischen 6000 t KW-Reiniger der VbF-Klasse A-III (VbF - Verordnung über brennbare Flüssigkeiten) vor allem von Händlern, die die verschmutzte Ware zur Aufarbeitung abholen, zugeführt. Aus diesem Grund ist der Regeneratanteil an der Zufuhr (46%) hoch. Die diffusen Luftemissionen liegen bei 20% der Einsatzmenge. Außerdem werden aus Spraydosen zum Reinigen von Fahrzeugen und Geräten 5000 t Lösemittel der VbF-Klassen A-I und B appliziert, die zu 100% verdunsten.
Pkw-Entkonservierung
Zur Entwachsung fabrikneuer Fahrzeuge dienen 6600 t KW (VbF: A-III), die mit 95% heißem Wasser gemischt sind. In großem Maßstab (Verbrauch mehr als 2 t/a) erfolgt dies automatisch in 29 Anlagen von Spediteuren und manuell in über 200 Autohäusern. Die teils gefassten Abgasemissionen und teils diffusen Emissionen betragen zusammen 1225 t.
Allgemeine industrielle Metallentfettung
Das Haupteinsatzgebiet halogenfreier KW-Oberflächenreiniger ist mit 27200 t die allgemeine Metallentfettung in der Industrie. Sie wird standardmäßig mit entaromatisierten KW betrieben, die den VbF-Klassen A-II und A-III angehören, das heißt einen Flammpunkt oberhalb von 21 °C beziehungsweise 55 °C besitzen. Sie ersetzen zum Teil die früher verwendeten chlorierten Kohlenwasserstoffe. Zu 90% werden KW für die manuelle Reinigung mit Pinsel und Lappen benutzt, die diskontinuierlich und kalt in Industriewerkstätten und an Produktionsanlagen erfolgt. Weiterhin wird diese Reinigungsmethode bei Produkten wie großvolumigen Teilen mit niedrigem Durchsatz, kleinen Restteilen geringer Stückzahl, Mess- und Kontrollteilen bei der Zwischenreinigung verwendet, die in keine Waschanlage passen. Zehn Prozent der KW-Zufuhr wird in Reinigungsmaschinen für den seriellen Betrieb umgesetzt. Neben 250 Anlagen, die kalt reinigen und nur warm trocknen, existieren bereits über 300 geschlossene KW-Anlagen, die hohe Reinheitsgrade erzielen, da sie mit heißem Lösemittel und Dampf entfetten können. Die Abgasemissionen dieser Anlagen sind auf Grund einer Tiefkühlkondensation niedrig.
Industrielle Spezialanwendungen
Organische Reiniger mit verstärktem Lösevermögen (Ester, Ketone, Aromate, Spezialbenzin, Alkohole, Glykolether) werden in einem Umfang von 12000 t an Stellen eingesetzt, an denen Verschmutzungen gegen einfache KW beständig sind. Typische Verunreinigungen stellen hier nicht Fette und Öle, sondern Polymerisate wie Kleb- und Dichtstoffe, Harze, Farben und dergleichen dar. Diese müssen häufiger von Produktionsmitteln (Auftragsgeräten) als von Produkten abgelöst werden. Die zumeist manuell-offene Reinigung findet stets ohne Erwärmung statt, da diese Stoffe leicht entzündlich sind (A-I- und A-II-Formulierungen). Die Leichtflüchtigkeit dieser Reiniger bedingt ebenfalls sehr hohe diffuse Emissionen in die Umgebungsluft von etwa 72%.
Feinreinigung
In der Elektronik-, optischen und feinmechanischen Industrie wurden FCKW häufig durch milde Lösemittel wie Cyclohexan, Isopropanol und Aceton ersetzt, die eine hohe Oberflächenreinheit garantieren und schnell trocknen. Da diese Stoffe leicht entflammbar sind, können die Lösemittel nur in explosionsgeschützten Anlagen verwendet werden, die aus Sicherheitsgründen einer Dauerabsaugung unterliegen. Dadurch steigen die ohnehin hohen Emissionen auf über zwei Drittel der Menge des Einsatzstoffes. Diese Emissionsrate gilt auch für die in der Feinoptik weit verbreitete manuelle Reinigung mit Alkohol. Diese Raten wären noch höher, wenn nicht in der letzten Zeit viele hochflüchtige Lösemittel durch schwerflüchtige Stoffe wie Glykolether oder N-Methyl-Pyrrolidon (NMP) ersetzt worden wären. Der gesamte Lösemitteleinsatz beträgt hier 4400 t.
Entlackung
Zur Entlackung fehlbeschichteter Teile aus Aluminium oder verzinktem Metall dienen organische Lösemittel wie Glykolether und NMP. Diese quellen bei Temperaturen von 50 bis 60 °C den Lack an und lösen ihn. Die diffusen Luftemissionen betragen etwa 15% (370 t) von 2500 t eingesetzten Lösemitteln. Über 700 t werden wässrig abgespült und erst im Abwasser der Kläranlage abgebaut. Etwa 1100 t lassen sich aus dem Lackschlamm für frische Entlackungsmittel zurückgewinnen.
Besonderheiten
Zu den spezifischen Merkmalen der Oberflächenreinigung mit halogenfreien Kohlenwasserstoffen gehört der große Anteil manueller Reinigungsprozesse. Von 63700 t Lösemittel werden fast 50000 t manuell angewendet, weniger als 14000 t werden in geschlossenen Anlagen verwendet. Davon wiederum werden rund 10000 t erwärmt. Die Reinigung mit KW ist in erster Linie eine manuelle Kaltreinigung.
Die Zahl der Betriebe mit einer Oberflächenreinigung auf der Basis von KW beträgt rund 100000. Dabei sind die jährlich nur je 30 bis 35 kg und insgesamt 4000 t verbrauchenden 120000 industriellen Tampondrucker (manuelle Klischeereinigung) nicht mitgerechnet. Etwa 3000 Betriebe verbrauchen pro Jahr mehr als 2 t Lösemittel. Der größte Anteil dieser Verbraucher (circa 2100) ist in der allgemeinen Metallentfettung angesiedelt. Auf jene 3% der Anwender entfallen allerdings über 60% der gesamten Lösemittelzufuhr zur Oberflächenreinigung und knapp 45% der VOC-Emissionen (ohne Tampondruck).
Emissionsminderung
Da die Studie im Kontext der EU-Lösemittelrichtlinie (VOC-RL) entstand, deren Ziel eine nachdrückliche VOC-Emissionssenkung ist, wird ebenfalls das Potenzial zur Emissionsminderung erörtert. Für jeden der sechs Teilbereiche der Oberflächenreinigung wird diskutiert, welchen Effekt auf die Emissionen die VOC-RL hat, wenn ihr Instrumentarium für die Tätigkeit "sonstige Oberfächenreinigung" in den Betrieben vollständig umgesetzt wird. Dieses Instrumentarium besteht im wesentlichen aus dem Grenzwert für diffuse Emissionen von 20% auf die Einsatzmenge und dem Grenzwert für gefasste Emissionen von 75 mg Kohlenstoff pro Kubikmeter Abgas. Beide gelten ab einem Schwellenwert, den die EU auf 2 t/a Lösemittelverbrauch vorgeschlagen hat.
Unabhängig von den Emissionssenkungen aufgrund der VOC-RL sollte die Frage gestellt werden, wie groß generell das Minderungspotenzial für VOC-Emissionen aus der Oberflächenreinigung nach dem Stand der Technik ist. Die Tauglichkeit der VOC-RL zur Reduzierung von VOC-Emissionen misst sich daran, inwieweit sie diese Minderungspotenziale ausschöpft, soweit das insbesondere Klein- und mittelständischen Unternehmen finanziell zumutbar ist. In Tabelle 2 sind sowohl die Emissionssenkungen durch eine 1:1-Umsetzung der VOC-RL als auch die nach dem Stand der Technik möglichen Emissionssenkungen aufgeführt, soweit diese über die Richtwerte hinausgehen.
Möglichkeiten
In drei Teilbereichen zeigt die VOC-RL praktisch keine emissionsmindernde Wirkung. Bei Dienstleistungen (Tabelle 2, Zeile 1) und bei der Entlackung (Zeile 6) wird der Grenzwert von 20% für diffuse Emissionen eingehalten, während die Entkonservierung (Zeile 2) wegen des niedrigen KW-Gehalts der Reinigungsflüssigkeit durch eine Sonderklausel von der Erfüllung der festgelegten Grenzwerte ausgenommen ist.
Die Ausschöpfung des Minderungspotenzials nach dem Stand der Technik, unabhängig von der VOC-RL, senkt dagegen die Emissionen deutlich. Im Dienstleistungsbereich ist eine Minderung um 2900 t möglich, sofern Betriebe mit mehr als 20 Beschäftigten eine wässrige Warmreinigung einführen. Bei der Pkw-Entkonservierung kann eine Verringerung um 1125 t erzielt werden, wenn weniger Reinigungsvorgänge infolge einer steigenden Zahl unbewachster Neuwagen erfolgen. Die Anlagen, in denen eine Reinigung erfolgt, sollten mit einer zeitgemäßen Abgasreinigung ausgestattet sein. In der Entlackung lässt sich eine Minderung um 70 t erzielen, wenn organische Lösemittel auf materialbedingt notwendige Anwendungen (Aluminium) beschränkt werden.
Allgemeine Metallentfettung
Die Allgemeine Metallentfettung (Zeile 3) und die Feinreinigung (Zeile 5) sind die Bereiche, in denen eine 1:1-Umsetzung der VOC-RL die größte Wirkung zeigt. Die Gesamtemissionen von 14755 t (12000 t + 2755 t) würden um 54% sinken, wenn die 2340 Betriebe mit einem Lösemittelverbrauch von mehr als 2 t/a die Emissionsgrenzwerte einhalten. Die Hauptreduktion resultiert aus der Festlegung des Grenzwertes von 20% für diffuse Emissionen auf alle manuellen und anlagebetriebenen Reinigungsprozesse. Die zweitwichtigste Maßnahme sind unter dem Druck der niedrigen Abgasgrenzwerte vorgenommene Umstellungen von hochemissiven Anlagen auf KW-Systeme, die entweder geschlossen im Vakuum reinigen oder bei offenem Betrieb schwerflüchtige Lösemittel verwenden.
Die nach Stand der Technik mögliche, aber von der VOC-RL nicht geforderte, Emissionssenkung beträgt 1180 t (1080 t plus 100 t). Sie resultiert vor allem daraus, dass Betriebe über dem Schwellenwert nicht nur Grenzwerte für KW-Reinigung einhalten, sondern das Reinigungsverfahren durch Methoden auf Wasserbasis ersetzen. Zweiter Grund ist die Begrenzung von KW-Emissionen auf das technische Minimum auch unter dem 2-t-Schwellenwert.
Sonderfälle
Bei Spezialanwendungen (Zeile 4) ist die emissionsmindernde Wirkung der VOC-RL doppelt begrenzt. Einerseits gelten Oberflächenreinigungen (etwa das Säubern von Klebewerkzeugen), die keine eigenständigen betrieblichen Tätigkeiten sind, sondern einen untergeordneten Prozessschritt einer anderen, von der VOC-RL regulierten Lösemittelanwendung (hier: Klebebeschichtung) darstellen und rechtlich Letzterer zugeordnet werden, nicht als Oberflächenreinigungen im Sinne der VOC-RL. Dazu gehört knapp die Hälfte der mit Speziallösemitteln vorgenommenen Reinigungen. Andererseits sind die Anwendungen von Speziallösemitteln zwar sehr zahlreich, aber in der Regel recht klein. Nur in wenigen Fällen werden mehr als 2 t Lösemittel pro Jahr verbraucht. Die VOC-RL greift mit ihren für die Oberflächenreinigung geltenden Emissionsgrenzwerten nur in etwa 250 Betrieben und bewirkt dort eine insgesamt mäßige Emissionssenkung um 300 t.
Die von den Begrenzungen der VOC-RL unabhängigen Maßnahmen nach dem Stand der Technik bewirken eine sieben Mal so große Emissionssenkung. Diese ergibt sich durch den Einsatz von weniger flüchtigen Lösemitteln zur Werkzeugreinigung im Tampondruck sowie aus baulichen Änderungen zur Verringerung der Lösemittelspülung von Gießanlagen für Zweikomponenten-Harze. Allerdings sind die zusätzlichen Emissionssenkungen mit 2200 t relativ gering, da die Eindämmung diffuser Emissionen in diesem Sektor besonders schwierig ist.
Zusammenfassung
In den sechs verschiedenen Sektoren der Oberflächenreinigung werden den Betrieben jährlich circa 63700 t Frischware auf Basis brennbarer Kohlenwasserstoffe (KW) zum Zweck der Oberflächenreinigung zugeführt. Davon emittieren 49% bzw. circa 31150 t bei der Anwendung in die Luft. Die anderen 51% werden entsorgt. Von den etwa 32500 t entsorgter KW-Reiniger werden etwa 6300 t extern zurückgewonnen und bilden wieder einen Teil (10 %) der Jahreszufuhr. Rund 2300 t werden für mindere Einsatzzwecke aufgearbeitet. Etwa 1000 t (sauerstoffhaltige KW-Derivate) gelangen mit Spülwasser in die Kanalisation und werden in der Kläranlage abgebaut. Der größte Teil der Altware, fast 23000 t (70%), wird unter Energienutzung verbrannt.
Bei einer 1:1-Umsetzung der VOC-Richtlinie auf betrieblicher Ebene könnten die VOC-Emissionen aus der Oberfächenreinigung um 8310 t sinken. Bezogen auf VOC-Gesamtemissionen von 31150 t entspricht dieser Wert fast 27%. Bereinigt um die nicht zur Oberflächenreinigung im Sinne der VOC-RL gehörenden Anwendungen (organische Spezialanwendungen und Pkw-Entkonservierung, das entspricht 5525 t/a), lassen sich Emissionssenkungen von über 32% erzielen. Nach Stand der Technik ist eine zusätzliche Reduzierung der Emissionen im bereinigten Bereich um zusätzlich 5250 t beziehungsweise um 17% möglich. Somit kann das Minderungspotenzial der VOC-Emissionen aus der Oberflächenreinigung fast 50% betragen.
Der Bericht wurde im Auftrag des Umweltbundesamtes, UFOPLAN-No. 297 44 906/2, durchgeführt. Er kann als Volltext im Internet unter der Adresse www.oekorecherche.de heruntergeladen werden.