3. Ozonschichtzerstörung auf der Süd- und Nordhalbkugel

3.1 Der Abwärtstrend des Gesamtozons

Langfristige Meßreihen lassen einen seit den siebziger Jahren eindeutigen Trend zum globalen Ozonabbau erkennen. Der Ozonabbau ist allerdings je nach Breitengraden unterschiedlich stark. Über den Tropen werden wegen der dort hohen Ozon-Neubildung praktisch keine Verluste gemessen. In den hohen Breiten jenseits 60° Süd bzw. Nord ist der Schwund aufgrund der polaren Ozonlöcher dagegen extrem hoch.

Wie verhält es sich über den stark bewohnten Regionen zwischen 25. und 60. Breitengrad Nord und Süd? Von den siebziger Jahren bis heute hat das Gesamtozon auf der Nordhalbkugel (25°-60°) um ca. 6% im Winter/Frühling abgenommen. Im Sommer/Herbst beträgt der Ozonverlust immer noch 3%. (Der Umfang der Ozonzerstörung ist abhängig von den Jahreszeiten.) In den entsprechenden Gebieten auf der Südhalbkugel beträgt die Abnahme auf einer Ganzjahresbasis 5% (WMO 98, 8). Der Abwärtstrend ist auch höhenabhängig: Bei 15 und bei 40 km Höhe ist der Ozonverlust über den nördlichen mittleren Breiten am größten und trägt hier mit 7% pro Jahrzehnt weit überdurchschnittlich zum Verlust des Gesamtozons bei. (WMO 98, 11)

Die WMO geht davon aus, daß über den mittleren Breiten der Abbau des Gesamtozons dank der internationalen Abkommen über die FCKW-Einstellung seinen Höchststand erreicht hat. (Das gilt nicht für die polaren Regionen.)

In Mitteleuropa wird die Konzentration des atmosphärischen Gesamtozons seit 1926 durch das Lichtklimatische Oberservatorium in Arosa gemessen. Die Jahresmittelwerte (Abb. 7) bewegen sich von 1926 bis 1972 stabil um 330 DU herum. Seitdem sinken sie mit knapp 3% pro Jahrzehnt bis auf ca. 310 DU.

Arosa Abb. 7. Jahresmittelwerte des Gesamtozons Arosa 1926-1997. Zwischen 1926 und 1972 ist der Trend zwischen den natürlichen Schwankungen stabil. Seit 1973 sinkt er deutlich: um -2,9% pro Jahrzehnt. Quelle: Observatorium Arosa.

In Deutschland verfügen wir seit 1967 über eine Meßreihe vom Meteorologischen Observatorium Hohenpeißenberg (vgl. Abb. 8). Der langfristig gemittelte Trend des Ozonabbaus liegt hier bei 0,3% pro Jahr bzw. 3% pro Jahrzehnt für die Jahresmittelwerte. Das Maximum der Reduktion pro Jahrzehnt ist mit 5,5% im Februar, ihr Minimum mit 1% im Oktober zu verzeichnen.

MOHp
Abb. 8. Langjähriger Verlauf des Hohenpeißenberger Gesamtozon-Mittelwerts Februar/März seit 1968 (Quelle: DWD-Ozonbulletin 64/99, 74/2000, 75/2000). Durch starke natürliche jährliche Schwankungen hindurch zeigt sich als linearer Trend ca. 5,5% Ozonverlust pro Jahrzehnt. Im Mittel ganzer Jahre beträgt die Abnahme gegenüber 1967 rund 3% pro Jahrzehnt.

Weit stärkere Ozonrückgänge finden jährlich an Süd- und Nordpol statt. Dem besonderen Problem dieser "Ozonlöcher" gilt der folgende Abschnitt.

3.2 Das Ozonloch über der Antarktis

Über der Antarktis, inzwischen auch über der Arktis, tritt jeweils im Frühling der Süd- bzw. Nordhemisphäre ein schlagartiger Abbau des stratosphärischen Ozons auf.

Ozonminima
Abb. 9. Minimalwerte des Ozons über der Antarktis (60°-90° S) nach Satelliten­messun­gen. Seit 1981 sank das jeweils an einem Tag im September oder Oktober gemessene Minimum von 210 auf 90 Dobson Units. Quelle: NASA GSFC 1999. Neuere Werte nachhttp://jwocky.gsfc.nasa.gov/.

Von einem "Ozonloch" sprechen die Wissenschaftler bei Unterschreitung von 220 DU. Abb. 9 zeigt eine 20-jährige Meßreihe verschiedener Satelliten über die zwischen 1979 und 1999 festgestellten absoluten Ozonminima (keine monatlichen Durchschnittswerte!) über der Antarktis zwischen 60° und 90° S. Diese Minimalwerte für das Gesamtozon sind in den zwanzig Jahren von ca. 210 auf 90 DU gesunken.

Aber auch für die monatlichen Durchschnittswerte, das monatliche Gesamtozon (September/Oktober), sind die Bedingungen eines Ozonlochs zwischen 60° und 90° S längst erfüllt. Die Meßwerte liegen seit 1987 jedes Jahr monatelang über der ganzen Antarktis unter 220 DU und damit 100 DU unter dem Vor-Ozonloch-Wert von ca. 320 DU der 60er und 70er Jahre. Am größten ist der Ozonabbau im Bereich zwischen 12 bis 20 km Höhe, wo im frühen Oktober gar kein Ozon mehr gefunden wird.

Außer der Intensität ist auch die Größe des antarktischen Ozonlochs im Wachsen. Die Fläche, über der das Gesamtozon zwischen 7. September und 10. Oktober unter 220 DU Gesamtozon fällt, war 1986 erstmals so groß wie die gesamte Antarktis, nämlich 13 Millionen km2. Im Jahr 1998 übertraf die Ausdehnung des Ozonlochs bereits die Marke von 24 Millionen km2. Das entspricht der Fläche von Nordamerika oder ist 2,5 Mal so viel wie die Fläche Europas (vgl. Abb. 10). Die bisherige Rekord-Ausdehnung des Ozonlochs von 1998 wurde im September 2000 (28,3 Millionen km2) erneut überboten. 1999 war sie etwas kleiner gewesen. (WMO Antarctic Ozone Bulletin 6/99-12/99).

Ozonlochgröße
Abb. 10. Mittlere Ausdehnung des südpolaren Ozonlochs seit 1980. Der Mittelwert für 7. September bis 10. Oktober stieg in 20 Jahren von 2 auf über 25 Millionen km2 Fläche mit Gesamtozon unter 220 DU. Der bisherige Spitzenwert war 28,3 Mio km2 Anfang September 2000. Quelle: NASA GSFC 1999. Neuere Werte (wöchentlich abrufbar) nachhttp://www.cpc.ncep.noaa.gov/products/stratosphere/sbuv2to/ozone_hole.html.

3.3 Der Ozonschwund über der Arktis

Über der Arktis tritt der gleiche Abbau-Prozeß auf, ist aber nicht so deutlich ausgeprägt wie über der Antarktis. Statt um die Hälfte sinkt hier das Gesamtozon im Frühling (Februar/März) um ca. 15 bis 30% - von einem höheren Ausgangsniveau aus. Die März-Werte der 70er Jahre betrugen über dem Nordpol ca. 470 DU. Seit acht Jahren (1993) lagen sie fünf Mal bei 370 DU oder darunter. Das sind über 20% bzw. 100 DU Abbau. Zur Zeit treten auf der Nordhalbkugel Ozonverluste auf, wie sie vor 20 Jahren im antarktischen Ozonloch beobachtet wurden.

Ozonschwund am Nordpol
Abb. 11. Märzmittel von 1991 bis 2000 für Gesamtozon über der Nordhalbkugel 63°-90° N nach verschiedenen Satellitenmessungen. Seit 1993 lagen sie fünf Mal bei 370 DU oder darunter. Das sind 20% bzw. 100 DU Abbau gegenüber den 70er Jahren. Quelle: NASA GSFC 1999. Der Wert für März 2000 wurde anhand der EP TOMS Daten ergänzt.

Die Werte von 1998 und 1999 waren ausnahmsweise so hoch wie in den achtziger Jahren gewesen, so daß manche schon von einer Erholung der Ozonschicht sprachen. Sie beruhten aber nicht auf einem Rückgang des Chlors, sondern auf der kurzen Dauer extremer Kälte in der arktischen Stratosphäre (siehe dazu nächsten Abschnitt).

Dies war 2000 wieder anders. Es traten die zweithöchsten Ozonverluste (Rekordjahr: 1997) in der Geschichte der Nordhalbkugel auf. Zwischen 20. Februar und 10. März beliefen sich die Ozonverluste auf -20 bis -25% gegenüber den Mittelwerten von vor 1976. Die betroffene Fläche entsprach der Größe Europas. Vergleiche dazu Abb. 12.

Landkarte Norden 1999
Abb. 12. Prozentuale Ozonverluste über der nördlichen Hemisphäre Anfang März 2000 im Vergleich mit den Mittelwerten von vor 1976. Die Gebiete mit Rückgängen über 20% (lila und blau) erstrecken sich nicht nur über Skandinavien und Nordrußland, sondern auch bis tief nach Deutschland und Polen hinein. Quelle: DWD-Ozonbulletin 74/2000.

3.4 Chemie der polaren Ozonschichtzerstörung

Der schubweise und zeitweilige Abbau der Ozonschicht über den Polkappen hängt mit den besonderen meteorologischen Bedingungen im Winter und Frühling zusammen.

Über der Antarktis bildet sich im Winter in der sechsmonatigen polaren Dauernacht ein stationärer Wirbel (vortex) aus, der mangels Sonnenwärme auf Temperaturen unter -80 Grad C auskühlt. Er bleibt bis zum antarktischen Frühling stabil.

Dieser Kältewirbel schottet die Polarregion gegen den Zustrom ozonreicherer und wärmerer Luft ab, da die Winde um den Wirbel herumströmen. Die isolierte Stratosphäre ist so kalt, daß Wasserdampf und Säuregase zu winzigen Tröpfchen und Eiskristallen (1/1000 - 1/100 mm Durchmesser) gefrieren und sog. Polare Stratosphärische Wolken bilden (Polar Stratospheric Clouds, PSC). Die PSCs bestehen aus gefrorenem Wasserdampf und Salpetersäure (H2O, HNO3) und etwas Schwefelsäure (Schreiner et al. 1999). Bei noch 5 bis 10°C tieferen Temperaturen bilden sich - etwas größere und schwerere - PSC-Teilchen auch aus gefrorenem reinem Wasserdampf. PSCs ermöglichen den schlagartigen Ozonabbau im Frühling.

Entscheidend sind die ungewöhnlichen chemischen Reaktionen an der Oberfläche der PSCs. Dort zersetzt sich das wichtige Reservoirgas Chlornitrat (ClONO2), in dem reaktive Chloratome bekanntlich zwischenlagern, derart, daß das Stickoxid chemisch als Salpetersäure an die Partikel gebunden wird (Denoxifikation). Die Chlor-Atome dagegen werden in Form molekularen Chlors (Cl2) als Gas freigesetzt. Analoges gilt für Brom. Während der Polarnacht sind molekulares Chlor und Brom für Ozon zwar harmlos, aber beide Halogene verlassen die Stratosphäre nicht. Sie bleiben mit den Ozonteilchen durchmischt in ihr enthalten.

Anders die PSCs, welche das NO2 aus dem Reservoirgas in sich eingelagert haben. Sie sinken in tiefere Schichten ab in Richtung Troposphäre. Je kälter es ist und je länger die Kälteperiode dauert, umso größer und schwerer werden die PSC-Partikel und umso mehr Zeit haben sie zum Absinken (bei bis zu 1 km Höhenverlust pro Tag). Wenn sie aus der Stratosphäre herabgesunken sind, haben sie den Spurenstoff NO2 mitgenommen, den wichtigsten "Stopper" reaktiver Halogene im katalytischen Ozonabbau (Die Entfernung von NO2 aus der Stratosphäre heißt Denitrifikation).


Abb. 13. Die chemischen Vorgänge im Polarwirbel von Winter bis Anfang Frühling. An den PSCs bilden sich Cl2, das in der Stratosphäre bleibt, und HNO3, das mit den PSCs die Stratosphäre verläßt. Erstes Frühlings-Sonnenlicht spaltet Cl2 in Cl-Atome, die ungehindert mit dem katalytischen Ozonabbau beginnen. Quelle: NASA GSFC 1999, übersetzt.

Gegen Winterende findet im stratosphärischen Polarwirbel noch kein Ozonabbau statt: Der größte Teil des Chlors ist jetzt molekulares Chlorgas Cl2, das Ozon nicht angreift. Stickoxide sind in der Form von HNO3 mit den PSCs in die Troposphäre abgesunken.

Mit Aufkommen der ersten Sonnenstrahlen im polaren Frühling ändert sich dies schlagartig. Denn schon die energetisch relativ schwache Strahlung unterhalb 450 nm Wellenlänge (sichtbares Licht) spaltet Chlor- und Brommoleküle in ihre reaktiven Atome. Diese greifen das vorhandene Ozon ungehindert an. Dessen katalytischer Abbau wird in der "denitrifizierten" Stratosphäre von keinen Spurenstoffen aufgehalten. Aufgrund der Schwäche der Sonnenstrahlung wird auch kein neues Ozon nachgeliefert.

Gleichungen wichtiger chemischer Reaktionen im Polarwirbel

1. PSCs: Denoxifikation und Bildung molekularen Chlors im Winter

Reaktionen in Gegenwart von PSCs sind "heterogen" im Unterschied zu homogen, weil sich hier Gasteilchen nicht mit anderen Gasen, sondern mit festen oder flüssigen Teilchen umsetzen. Eine wichtige Reaktion ist diejenige von zwei Reservoirgasen untereinander. Gleichung 7: Chlornitrat verbindet sich mit Chlorwasserstoff. Es entsteht Salpetersäure, die auf den PSCs bleibt, und molekulares Chlor.

Gleichung 7

2. Ozonabbau im polaren Frühling

Voraussetzung ist die Chlorspaltung durch Sonnenstrahlung der Wellenlänge < 450 nm.

Gleichung 8

Der katalytische Ozonabbau beginnt zunächst nach der bekannten Gleichung 9 (=Gleichung 5):

Gleichung 9

Mangels freiem Sauerstoff (O), der sonst (aus der UV-B-Spaltung von O3) für die Rückbildung von ClO zu reaktivem Cl zur Verfügung steht, entstehen freie Chlor- und Bromatome anders: Bei genügender Ansammlung von ClO und BrO reagieren diese Verbindungen miteinander. Das erfolgt nach den Gleichungen 10/11 bzw. 12.

Gleichung 10-12

Das Tempo der katalytischen Ozonzerstörung nimmt im Quadrat der Dichte von ClO (und BrO) zu. Doppelte Dichte bedeutet vierfache Ozonzerstörung! Darum kann das Ozonloch selbst bei langsamem Anstieg der äquivalenten Chlorbelastung überproportional wachsen. Das erklärt sein plötzliches Auftreten in den 80er Jahren. Voraussetzung ist eine Mindestkonzentration von Chlor im Bereich von ca. 2 ppb.

Der Abbauprozeß hält so lange an, bis es wärmer wird, wodurch sich die PSCs auflösen und der polare Kältewirbel zusammenbricht. Es strömt dann in die Polarregion massenhaft ozonreiche Luft ein, die auch Stickoxide und andere Spurenstoffe mitbringt, die den Ozon-Abbau durch die Halogene Chlor und Brom immer wieder stoppen.

3.5 Ozonloch über der Nordhalbkugel?

Über der Arktis führen die gleichen Mechanismen wie über der Antarktis zum Ozonabbau. Die Voraussetzungen sind auch hier (1) hohe Chlor- und Bromkonzentration in der Stratosphäre, (2) die Ausbildung eines Kältewirbels mit PSCs und (3) die abrupte Chlor- und Bromfreisetzung durch Sonneneinstrahlung im Frühling.

Über dem Nordpol sind im Winter die meteorologischen Bedingungen für die Reaktionen, die im Frühling zum schlagartigen Ozonabbau führen, jedoch nicht so stark ausgeprägt wie über dem Südpol. Entscheidend dafür ist die geringere Stabilität des Polarwirbels. Die Temperaturen in seinem Innern sinken nicht so tief ab. Über dem Nordpol ist die winterliche Stratosphäre im Durchschnitt 10°C weniger kalt als über dem Südpol. Grund: es kommt immer wieder zu stratosphärischen Luftströmungen und damit zu Zwischenaufwärmungen, die den Kältewirbel zeitweilig verschieben oder sogar auflösen. Das hemmt die Bildung von PSCs. Diese sind statt Monaten nur wenige Wochen oder mitunter auch nur Tage vorhanden. Folglich wird weniger Chlor und Brom aus den Reservoirgasen befreit, und zugleich werden weniger Stickoxide desaktiviert (Denoxifikation) und effektiv aus der Stratosphäre ausgeschleust (Denitrifikation).

Die geringere Stabilität des Nordpolar-Wirbels hängt mit der Geografie in den hohen Breiten der Nordhalbkugel zusammen. Die Antarktis ist ein mit Eis und Schnee bedecktes flaches Land. Die Arktis weist dagegen viele Gebirgszüge und eine stetige Abwechslung von Wasser und Land mit entsprechend starken Temperaturkontrasten auf. Diese Ungleichmäßigkeit begünstigt die Ausbildung von wellenförmigen starken stratosphärischen Luftströmungen ("planetare Wellen"), die den Polarwirbel aus seiner Position verdrängen oder ihn aufbrechen, so daß schlagartig wärmere Luft einströmen kann (sudden warmings).

Je nach meteorologischen Bedingungen kann über der Arktis in einem Jahr der chlor- und brombedingte Ozonabbau begünstigt oder gemildert werden. Seine kurzfristige Voraussage ist aber so riskant wie eine Wetterprognose für mehrere Monate.